Der Eine-Billion-Bierdeckel des Peter Altmaier

Von Sascha Röber.

Eine äußerst spannende Woche geht zu Ende. Was ist nicht alles passiert…

Da orakelte beispielsweise Günther Oettinger, es werde noch Zeiten geben, da werde ein künftiger deutscher Kanzler noch auf Knien nach Ankara robben, um die Türkei zu bitten, in die EU zu kommen. Nun ja, dass es sich dabei um Angela Merkel handeln könnte, ist eher unwahrscheinlich, denn die ist ja, wie wir nun von Jürgen Trittin wissen, eine „Last-Minute-Kanzlerin“, und da kann es schon mal passieren, dass die zu spät kommt. Das kann nützlich sein, denn dann ist man vielleicht im entscheidenden Moment weit von Peer Steinbrück entfernt, den Rainer Brüderle als „diplomatische Neutronenbombe“ entlarvte und für diese Erkenntnis offenbar noch nicht einmal auf den zwischenzeitlich wieder eingestellten Peerblog zurückgreifen musste. Ach ja, und mittlerweile wurden auch Sägespäne in der Lasagne gefunden, die stammten wohl vom Schaukelpferd.

Alles Kinderkram. Denn seit dieser Woche haben wir endlich die Antwort auf die Frage, die das gesamte Land am meisten bewegt. Endlich wissen wir, wie viel uns Deutsche die Energiewende kosten wird: Eine Billion Euro! Ja. Das ist eine eins mit – oh, muss mal nachsehen – zwölf Nullen. 1.000.000.000.000. Oder tausend Milliarden. Ganz schön viel, so eine Billion. Aber woher weiß der Altmaier das eigentlich? Gute Frage. Genau das wollten die Journalisten der ZEIT auch wissen und fragten in seinem Ministerium nach. Doch auch seine Fachleute zuckten mit den Schultern. Aber nicht nur die: Auch die Frau, die in Deutschland wahrscheinlich am besten weiß, welche Umstände in eine solche Berechnung einfließen müssten – Claudia Kemfert -, nannte die Zahl „nicht nachvollziehbar“. Den Stuttgarter Nachrichten sagte sie: „Es ist verantwortungslos, solche Milliardensummen zu nennen, ohne zu erklären, ohne schlüssige Berechnungen vorzulegen und auf die positiven Effekte der Energiewende hinzuweisen.“

Wieso das denn? Nicht nachvollziehbar? Na, aber…! Beim FAZ-Interview hatte er dazu extra seinen Bierdeckel hervorgezogen, auf dem er am Abend vorher zusammen mit Philipp Rösler in seiner Berliner Butze über einem vollmundigen Roten und selbstgemachten Klößen mit Leberwurstfüllung die Rechnung penibel verzeichnet hatte. Ganz nach Friedrich Merz‘ Vorbild mit der Steuererklärung.

Altmaiers Eine-Billion-Euro-Bierdeckel

Altmaiers Eine-Billion-Euro-Bierdeckel

Also.

Da wären mal die 680 Mrd. € für die Einspeisevergütungen, die bis 2022 bereits gemacht seien. Bei gleichbleibendem Strompreis von 4,5 Cent/kWh. Hinzu kämen noch „die Kosten für den Netzausbau, für die Sicherstellung der Reservekapazitäten, für Forschung und Entwicklung, bis hin zur Elektromobilität und energetischen Gebäudesanierung“.

Bei gleichbleibendem Strompreis? Altmaier hatte vorsorglich noch hinzugefügt: „Würde der Börsenstrompreis weiter sinken, würde es noch teurer“ und zielte damit auf den Wälzmechanismus des EEGs ab, der die EEG-Umlage steigen lässt, wenn bei gegebenem Vergütungsregime die Börsenpreise sinken. Einverstanden soweit. Aber: Sein Ausgangspunkt ist ja angeblich der Preis, den Otto Normalverbraucher für jede Kilowattstunde Strom bezahlen muss. Deshalb hat er das ɶuvre auf seinem Bierdeckel ja auch listiger Weise „Strompreisbremse“ genannt. Nun: Die Erneuerbaren nutzen kostenlose Sonne und kostenlosen Wind. Konstante Kosten des Inputs also Null. Anders sieht es bei den fossilen Brennstoffen aus. Nehmen wir zum Beispiel Öl. Ein Fass Brent kostete 2000, dem Jahr, als das EEG verabschiedet wurde, 35,50 $. Im Jahr 2012 kostete dieselbe Menge bereits über 128 $, also mehr als das 3,6-fache |Quelle|. Oder Steinkohle: Im Jahr 2000 waren es 42 € pro Tonne SKE (Steinkohleeinheit), im 1. Quartal 2012 bereits 100 € |Quelle|. Im selben Zeitraum blieb der Preis für Wind und Sonne konstant: Null. Während Öl und Gas aus politisch unsicheren Ländern importiert werden musste, gab es Wind und Sonne direkt aus deutschen Landen. Wie wahrscheinlich ist es also, dass die Strompreise gleich bleiben werden, Peter Altmaier?

Weiter geht’s. Die Kosten für den Netzausbau. Über welche Summe sprechen wir überhaupt, Herr Altmaier? Klar: Strom muss transportiert werden, und zwar bis zur Steckdose. Dafür braucht man Stromleitungen und, solange wir Wechselstrom nutzen, Umspannwerke. In der bisherigen Energielandschaft war das so aufgebaut: Wenige atomar oder fossil betriebene Großkraftwerke produzierten riseige Mengen Strom. Diese wurden dann über weite Strecken dorthin transportiert, wo der Strom gebraucht wurde. Das erforderte einerseits zahlreiche Hochvolt-Stromtrassen und andererseits, dass die Netze dicht miteinander verknüpft waren. Nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch darüber hinaus. Und weil das so war, konnte im November 2006 die Ausschiffung des Kreuzfahrtschiffs Norwegian Pearl aus der Meyer Werft in Papenburg auch dazu führen, dass Teile von Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien – also bis zu 10 Millionen Haushalte und unzählige Fabriken – für ca. 2 Stunden überhaupt keinen Strom mehr hatten |Quelle|. Weil E.On, Vattenfall, EnBW und RWE strategisch und technisch auf Großstrukturen ausgerichtet sind, können sie sich im Bereich der Erneuerbaren auch nur in diesen Strukturen bewegen. Daher lassen sie auf hoher See Offshore-Windparks bauen. Also: Bündelung der einzelnen Offshore-Windanlagen zu Großkraftwerks-Strukturen mit ensprechend viel Nennleistung. Aber die Fische in der Nordsee brauchen gar keinen Strom. Und Hamburg, Bremerhaven und Bremen haben schon genug regenartiven Strom von den Windrädern in den Küstenregionen. Also: Damit der Windstrom von Ost- und Nordsee ins Rhein-Main-Gebiet, zu Daimler und BMW in Baden-Württemberg und Bayern kommt, muss er durch riesige Stromleitungen über hunderte von Kilometern transportiert werden. Und weil die bereits vom Strom der bestehenden Großanlagen belegt sind, müssen neue Leitungen her. Die kosten sehr viel Geld und erhöhen die sogenannten Leitungsentgelte, die über die Stromrechnung Otto Normalverbraucher zahlt. Und damit nicht genug: Weil die Offshore-Anlagen gebaut werden, obwohl die Infrastruktur zu deren Anbindung an Land noch gar nicht existiert, werden den Betreibern – zusätzlich zu den höchsten Einspeisetarifen, die das EEG überhaupt hergibt – auch noch eine sog. Offshore-Haftungsumlage in Höhe von bis zu 0,25 Cent/kWh gezahlt. Natürlich, Sie ahnen es: ebenfalls von Otto Normalverbraucher. Stellen Sie sich einmal vor: Sie bauen eine Fabrik in die Mitte von Nirgendwo. Weit und breit keine Infrastruktur. Ihre Produkte werden auch am Fabrikstandort nicht gebraucht, dort gibt es keine Kunden, denn die sind tausend Kilometer entfernt. Es gibt keine Autobahn in der Nähe. Und weil das so ist, bekommen Sie bis zu dem Tag, an dem die Autobahn an Ihrer Fabrik vorbeiführt, Ihre Produkte trotzdem bezahlt. Toll, oder? Die Energiewende geht anders. Sie demokratisiert und dezentralisiert die Stromerzeugung. Sie führt dazu, dass sie flächendeckend geschieht, eben nicht mehr mit zentrlalistischen Großkraftwerken. Sondern da, wo der Strom benötigt wird. Auf dem Hausdach, dem Feld, auf dem Berg – mit PV-Anlagen und Windenergieanlagen. Onshore, da, wo Menschen wohnen und arbeiten. Die Kosten des Netzausbaus könnten also, wenn man Offshore ad acta legte, also einmotten. Und dass von den Großen Vier in die Netzinfrastruktur jahrzehntelang nicht investiert wurde, kann man der Energiewende nicht ernsthaft anlasten. Also: Auch wenn Sie gar nicht wissen, wie hoch die Kosten des Netzausbaus überhaupt in den komenden Jahren sein werden: Die können Sie schon mal ruhig wieder vom Bierdeckel streichen!

Ah, nun die Sicherstellung der Reservekapazitäten. Hmmm, auch hier findet sich auf dem Bierdeckel keine Zahl. Na ja, aber Hauptsache, am Ende steht die Billion… Gegebenenfalls hat jemand schon mal genau ausgerechnet, welche Reservekapazitäten überhaupt bereitgestellt werden müssen. Aber warum benötigen wir die denn überhaupt? Ah so, Sonne scheint nur tagsüber. Wenn überhaupt. Richtig. Und Wind weht ja auch nur im Herbst und Frühling. Und in der Zwischenzeit braucht das Land ja trotzdem Strom. Die Reservekapazitäten sollen vorgehalten werden, um sog. Spitzenlasten abdecken zu können – also jene Momente, in denen mehr Strom benötigt als gerade erzeugt wird – das sog. peak shaving. Auch hier fehlt eine Zahl auf dem Bierdeckel. Und welche hätte Peter Altmaier auch schon draufschreiben sollen? Sie ist von einer Vielzahl von Parametern abhängig. Zum Beispiel davon, ob es sich um neue oder alte Kraftwerke handelt. Neue sind zwar sauberer (gut für die CO2-Bilanz), alte aber viel billiger, weil meist schon abgeschrieben. Und auch natürlich davon, ob man gleich die gesamte Reservekapazität eines solchen Kraftwerks vom ersten Tag an vergütet (wie es sich die Big Four erträumen) oder aber, was viel smarter wäre, die tatsächlich gelieferte kWh einfach viel höher zu vergüten als alle anderen Kilowattstunden im Netz. Da solche Kraftwerke im Bedarfsfall schnell hochgefahren werden müssen, können es sinnvoller Weise nur Gaskraftwerke sein. Aber die gibt’s ja auch schon in klein. Jedes KWK-Anlage im Keller eines Mehrfamilienhauses ist letztlich eine Art Gaskraftwerk, das Strom produziert. Davon gibt es schon sehr viele. Diese werden schon gefördert, sind auch klein dimensionierbar und haben Wirkungsgrade von bis zu 90%. Wenn man also Energiewende-Politik betreibt, die das Prinzip der Dezentralität der Stromerzeugung in den Mittelpunkt stellt, kann man mit sehr überschaubar dimensionierten KWK-Anlagen und Blockheizkraftwerken (BHKW) kostengünstig und effektiv das peak shaving beherrschen. So, Herr Altmaier, welche Zahl schreiben Sie also auf Ihren Bierdeckel?

Und jetzt noch der ganze Rest: F&E, E-Mobilität und Gebäudesanierung. Forschung und Entwicklung: Ja, sollten wir uns in der Tat einiges kosten lassen. Schon alleine deshalb, weil eine höhere Effizienz der Stromerzeugung immer auch zu Kostensenkungen führt. Und die stellen sich, wenn man die richtigen Instrumente und Anreize wählt, bereits innerhalb des Altmaier’schen Betrachtungszeitraums (bis Ende der 30er Jahre, also noch 18 Jahre) vollständig ein. Also: Die Zahl auf dem Bierdeckel zur Position F&E wäre richtigerweise allerhöchstens Null. E-Mobilität: Ja, die kam natürlich mit dem Thema Energiewende auf. Aber sie ist eigentlich nur eine mögliche Folge einer erfolgreichen Energiewende. Es wäre ja wenig sinnvoll, alle Autos auf Strom umstellen zu wollen, wenn dieser wie bisher vor allem aus fossilen Materialien gewonnen würde. Dieses Thema ist letztlich ein Unterthema der F&E und könnte im Rahmen der sog. smart grids, also der intelligenten Stromnetze, einen großen Teil dazu beitragen, zur Abdeckung von Spitzenlasten die eigenen Akkus zur Vergügung zu stellen. Das würde die Kosten für die schon oben behandelten Reservekapazitäten weiter verringern helfen. Also auch hier ist die richtige Zahl auf dem Bierdeckel eine Null. Höchstens. Und dann noch die Gebäudesanierung.

Ja, Herr Altmaier, da sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an. Und das wird auch einen massiven Einfluss auf das Gelingen der Energiewende haben. Zweifelsohne. Und dass das Geld kosten wird, steht auch völlig außer Frage. Aber wenn ich mir Ihren Bierdeckel ansehe, kann ich auch da keine Zahl erkennen. Vielleicht liegt es daran, dass die im September letzten Jahres verabschiedete EU-Energieeffizienz-Richtlinie bis heute nicht in nationales Recht umgesetzt ist? Und dass es dafür auch noch keinen verbindlichen Zeitplan seitens der Regierung gibt, der Sie angehören? Wie also wollen Sie diese Kosten eigentlich quantifizieren? Deutschland könnte sehr vom japanischen Top-Runner-Programm lernen. Es fördert die Energieeffizienz beim Gerätegebrauch, indem es die schlimmsten Stromschlucker ins Visier nimmt und sanktioniert. Der Regierung ist dieses Programm seit Jahren wohlbekannt. Hätten Sie ein solches mittlerweile aufgelegt, hätte das nicht nur massiv weniger CO2-Ausstoß zur Folge – es wäre für den Staat auch fast für lau zu kriegen.

Die dilettantische Kostenrechnung zur Energiewende könnte man einem Juristen aus dem Saarland, der in der Küche seiner Berliner Wohnung zusammen mit einem Arbeitskollegen aus dem Medizinbereich bei Abendessen und Bierchen den Bleistift zückt, durchaus nachsehen. Und weil Zahlen jenseits der Million auch für einen Durchschnittsjuristen und -arzt kaum noch greifbar sind, würde es auch nichts ausmachen, wenn ganz unten auf dem Bierdeckel dann eine Eins mit zwölf Nullen herauskäme. Aber den Ministern für Umwelt, Technologie und Reaktorsicherheit und Wirtschaft darf das einfach nicht passieren. Es darf nicht sein, dass ausschließlich die Kosten addiert werden, die in ihrer Höhe auch zur Zeit nicht seriös zu quantifizieren sind, ohne alle damit verbundenen Gegeneffekte (vom sinkenden Kosten für Energieimporte hin zur völligen Vermeidung von Energieverbrauch) zu berücksichtigen. Und für die Berechnung der hohen externen Kosten, die ja bislang immer sozialisiert werden (die durch Banken herbeigeführte Weltwirtschaftskrise vor fünf Jahren lässt grüßen) und bei der Kostenberechnung für fossile Energieträger systematisch ausgeklammert werden, können sich die beiden ja mal Nachhilfe von ein paar Volkswirtschaftlern holen. Vorausgesetzt, sie wollen das überhaupt…

Nachtrag (13.03.2013): In einer Studie wurde Altmaiers „Billion“ übrigens mittlerweile selbstverständlich überprüft und wiederlegt.

Foto: © Sascha Röber

Windkraftanlagen: Immer größere Nennleistung sinnvoll?

In einem Artikel heißt es auf „Wirtschaftswoche green“, dass supraleitende Generatoren noch viel größere Windkraftanlagen mit Nennleistungen von über 10 MW möglich machen sollen. Das soll der Windkraftbranche zu einem „Wachstumsschub“ verhelfen.

Es bleibt fraglich, wem die Erhöhung der Nennleistung von WEA über das derzeitige Maß hinaus denn überhaupt nützt. Bei starkem Wind, der auf See nicht selten ist, wird bei wachsender Nennleistung der Generatoren immer mehr Strom zur selben Zeit in die Netze gepresst. Nun krankt die Offshore-Windenergie ja ohnehin an zwei Hauptproblemen. Erstens: Die Verbindung der Anlagen auf See mit den Netzeinspeisepunkten an Land. Zweitens: Der Tatsache, dass Offshore-Windenergie Strom dort produziert, wo sie am wenigsten gebraucht wird: im bevölkerungs- und industriearmen Norden der Republik.

Statt immer leistungsstärkere Generatoren zu bauen, führt der richtige Weg doch vielmehr über höhere Türme und größere Rotordurchmesser bei gleichbleibender oder gar sinkender Nennleistung der Generatoren. Das Problem der nicht vollständig stetigen Windenergie ist vor allem, dass sie nicht immer und nicht immer mit derselben Stärke überall vorhanden ist, sondern nach Region und Jahreszeit sowie Wetterlage fluktuiert. Mit höheren Türmen und größeren Rotordurchmessern kann vor allem eine höhere Zahl an Vollaststunden generiert werden. Das bedeutet, dass insgesamt viel gleichmäßiger sauberer Strom ins Netz gespeist wird. Eine Verstetigung der Einspeisung führt unter anderem zu viel niedrigeren Netzmodernisierungskosten. Und es gibt Untersuchungen, welche aufzeigen, dass es auch durchaus ein widerlegbares Paradigma ist, dass der Wind auf See stetiger weht als übers Land verteilt (http://100-prozent-erneuerbar.de/wp-content/uploads/2013/01/Report-Windpotenzial-im-raeumlichen-Vergleich.pdf).

Also: Besser sind dezentral über das Land verteilte Windkraftanlagen mit Nennleistungen auf heutigem Niveau, höheren Türmen und größeren Rotordruchmessern. Dann wird das auch viel schneller was mit der Energiewende. Sie wird viel günstiger, weil wir uns einen Großteil des Netzausbaus dann sparen können.

 

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